Mehrsprachige Software und Games entwickeln

Unity3D CarRacing TutorialWer sich schon einmal mit der Umsetzung einer Multilanguage-Anwendung oder Games beschäftigt hat, der weiß, dass soetwas nicht mal eben schnell getan ist.

Worauf hierbei zu achten ist und welche Missverständnisse zu vermeiden sind erklärt in diesem Gastartikel Christian Arno, Gründer von Lingo24.

Aufgrund der Spezialisierung auf Website-Lokalisierung hat sein Unternehmen bereits viele Erfahrungen in diesem Bereich sammeln können.

Warum gestreckte Daumen bisweilen Ohrfeigen provozieren

Bei der Software-Produktion auch internationale Märkte im Auge zu haben, ist nichts, was den großen Software-Unternehmen vorbehalten bleiben muss. Auch kleinere Software-Schmieden sollten prüfen, ob es sich lohnen könnte, die eigene Software an den einen oder anderen Auslandsmarkt anzupassen, um den Absatz zu steigern. Entscheidet man sich allerdings dafür, die Software auch im Ausland anzubieten, ist eine gute Übersetzung ebenso wichtig wie eine erneute Prüfung von Design und Stil. Nicht alles, was in einem Land verstanden wird und/oder gut ankommt, funktioniert auch in einem anderen Land. So haben etwa hoch gestreckte Daumen bisweilen so ihre Tücke.

Internationalisierung und Lokalisierung

Den Blick auf mögliche Auslandsmärkte sollten Software-Entwickler unabhängig davon im Auge haben, welche Art von Software sie produzieren. Sowohl bei Games als auch bei Büro- und anderer Software können sprachlich und kulturell angepasste Versionen die Umsätze steigern. Allerdings steigen in solchen Fällen zugleich die Entwicklungskosten, sodass man abwägen muss, ob ein zu erwartender Gewinn die Mehrkosten übersteigt. Das kann etwa der Fall sein, wenn

  • ein Bedarf für die jeweilige Software auf dem Auslandsmarkt vorhanden ist und insbesondere, wenn
  • dieser Bedarf bisher nicht oder unzureichend gedeckt wird.

Bei Software-Angeboten für mehrere Länder unterscheidet man die Konzepte „Internationalisierung“ und „Lokalisierung“. Während bei einer Internationalisierung dieselbe Software mit verschiedenen Sprachmodulen arbeitet, entsteht bei der Lokalisierung auf Basis der bestehenden Software praktisch eine eigenständige Neuversion. Sie wird in Bezug auf Sprache, Design und Nutzerführung auf das jeweilige Zielland modifiziert. Um solch eine Software auf einem Auslandsmarkt erfolgreich zu platzieren, müssen Textelemente natürlich korrekt übersetzt werden, aber auch Symbole gehören auf den Prüfstand und die Prüfung muss umso intensiver erfolgen, je inhaltsbasierter eine Software ist. Während etwa bei Bildbearbeitungs-Software eventuell Elemente wie Icons und die Anordnung der Elemente auf dem Bildschirm geändert werden, steigt die Anzahl der zu prüfenden Elemente zum Beispiel bei Lernsoftware. Fragen, die hier entscheidend sein könnten:

  • Passt der Textstil zu kulturellen Präferenzen?
  • Wurde die richtige Sprache gewählt?
  • Passt der didaktische Aufbau zu vorherrschenden Lernstilen im Land?
  • Wurden für die Kultur geeignete Bilder gewählt?

Hier wie bei allen Software-Produkten gilt letztlich: Jedes unverstandene oder als unpassend empfundene Element senkt die Bereitschaft des Nutzers, die Software weiter zu nutzen oder weiter zu empfehlen und damit die Marktchancen.

Sprache

Software-Texte ins Englische zu übersetzen, reicht im Allgemeinen nur dann aus, wenn Englisch auch die Hauptsprache im Zielland ist. Im Allgemeinen gilt: Größere Marktchancen bietet die Software-Variante in der Muttersprache der Zielgruppe. Hier werden Übersetzer und Designer allerdings zusammenarbeiten müssen, denn Ausgangssprache und Zielsprache haben keineswegs stets dieselbe Länge.

Übersetzt man beispielsweise vom Deutschen ins Italienische, so kann die Textlänge schnell um zehn, zwanzig und vereinzelt auch mehr Prozent ansteigen. Deswegen muss Text entweder gekürzt oder aber das Design angepasst werden.

Deutsche Texte sind im Vergleich zu einer tschechischen Übersetzung dagegen meistens länger. Der Tschechisch-Blog hat sich einmal die Mühe gemacht, die Erklärung der Menschenrechte in Deutsch und Tschechisch miteinander zu vergleichen. Die Anzahl der Wörter im Text betrug in der tschechischen Variante 1258 Wörter mit 9244 Zeichen und in der deutschen Variante 1594 Wörter mit 11697 Zeichen.

Welche Sprache ist angebracht?

Wer Textelemente einer Software für ein bestimmtes Zielland lokalisieren möchte, sollte genau hinsehen, welche Sprache dort gesprochen wird. Es gibt britisches Englisch und US-amerikanisches Englisch, das in Deutschland gesprochene Deutsch sowie Deutsch in Österreich und in der Schweiz, das in Portugal gesprochene Portugiesisch sowie das brasilianische Portugiesisch. Nehmen wir beispielsweise das in Deutschland und das in der Schweiz gesprochene Deutsch: Ein Schweizer wird etwa in einer Lernsoftware zum Thema „Wirtschaft“ beim Wort „Zwangsvollstreckung“ eher das Wort „Betreibung“ erwarten. Und es gibt weitere Unterschiede:

  • Themenpunkte einer Tagesordnung (Deutschland) – Traktandum (Schweiz)
  • Handelskette (Deutschland) – Grossverteiler (Schweiz)
  • Einzelhandel (Deutschland) – Detailhandel (Schweiz)

Gute Software holt Menschen dort ab, wo sie stehen. Das bedeutet auch: Sie nutzt genau die Sprache, die die Menschen verstehen und verwenden

Zeichen und Design

Es kann reizvoll sein, in einer Software mit bildhaft dargestellten Gesten zu arbeiten, um Information zu vermitteln. Bilder lockern auf und ihre Bedeutung erschließt sich oftmals auf einen Blick. Hier liegt aber auch manch eine Tücke:

  • Möchte man deutschen Softwarenutzern etwa signalisieren, dass sie etwas gut gemacht haben, kann ein Softwareentwickler das Bild eines nach oben gestreckten Daumens nutzen. Bei Nigerianern und Australiern symbolisiert dieselbe Geste allerdings eine Beleidigung.
  • Berühren sich Zeigefinger und Daumen, um ein „O“ zu formen, so lesen Deutsche diese Geste in der Regel ebenfalls als „in Ordnung“. In Südamerika beschimpft man mit dieser Geste Homosexuelle.

Letztlich gilt: Was scheinbar selbsterklärend ist, hat nicht überall dieselbe Bedeutung.

Nutzerverhalten und Kultur

Insbesondere bei Inhalte vermittelnder Software sollte man sich auch die Art der Informationsvermittlung bezogen auf die jeweilige Kultur ansehen. So hat etwa die Humboldt-Universität Berlin auf Vortragsfolien zum Thema „Andere Länder- andere Sitten“ einmal die im Rahmen einer Studie gegebenen Antworten auf folgende Frage veröffentlicht:

„Wie findest Du es, wenn eine Stimme oder eine virtuelle Person Dich durch das Programm führen will?“

Die Unterschiede zwischen den Ländern waren signifikant. Während etwa siebzig Prozent der Chinesen so etwas als „hilfreich und angenehm“ empfanden, bezeichneten 75% der befragten Südamerikaner dasselbe als „störend und hinderlich“. Gute Software ist nur die, die Nutzer als gut empfinden. Und was Nutzer als gut empfinden, ist nicht immer weltweit dasselbe.

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